Ein theurer Spaß.

Manöverhumoreske von Marie Brook
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 08.09.1901


„Fritz!”

Die Stimme des Rittmeisters von Lübben gellte durch das Haus. Der Gerufene erschien. Er war gerade dabei, Kleider und Wäsche seines Herrn für das bevorstehende Manöver einzupacken und daher nicht sehr erbaut von der Störung.

„Laß' jetzt mal den ganzen Krempel stehen und liegen,” bedeutete der Rittmeister seinen Getreuen. „Dafür siehst Du Dir hier mal aufmerksam die Geschichte an.” Er hielt ihm eine Handvoll zerknitterter Papierschnitzel hin.

„Das sind 12 Loose der Mecklenburger Pferdelotterie, die in der nächsten Zeit herauskommen. Gewinnen müssen wir diesmal. Da ist kein Zweifel. Es muß ja nicht gerade der Viererzug sein! Laß' sehen, was die Schose sonst noch bringt.”

Er las aufmerksam den glückverheißenden Prospekt durch. „Hm, hm, Reitpferde, ein Gespann Jucker, könnt' ich gebrauchen, eine Viktoria, Drykools, das wären die Glanznummern. Dann kommt das Kroppzeug, Peitschen, Kandaren, Stalleimer, der Kuckuck weiß, was Alles da zu holen ist. Aha, zum Schluß kommts. Das ist das Beste! Mehrere Körbe mit Sekt!” Der Rittmeister legte das, Blatt, in dem er gelesen, vor sich hin.

„Nun paß einmal Achtung, Fritz,” sagte er zu diesem. „Wenn ich einen Hauptgewinn ergattere, Pferd oder Wagen, so setzt Du Dich hin und depeschirst sofort. Dann fährst Du hinüber nach Parchim und holst die Sachen ab. Die Adresse steht auf dem Zettel! Gewinne ich aber eine kleine Schose, so läßt Du Dir das Dings hierherschicken und benachrichtigst mich gelegentlich. Bis auf den Sekt. Kommt Nachricht, daß ich 'nen Korb gewonnen habe, so schickst Du ihn, mit meiner Manöveradresse versehen, sofort nach, das giebt dann einen Hauptspaß. Hast Du verstanden, Fritz?” „Zu Befehl, Herr Rittmeister!” Fritz war an ähnliche, langathmige Auseinandersetzungen seines etwas umständlichen Gebieters schon gewöhnt. Er sagte daher nur noch: „Werd' Alles bestens besorgen. Also Korb wird nachgeschickt, alles Uebrige bleibt hier!”

„So ist's! Vergiß auch nicht, Dir die Gewinnlisten anzusehen, und schreib eventuell sofort an die Gesellschaft. In 3 Wochen oder so herum verfallen die Gewinne, die nicht abgeholt worden sind, das wäre schade darum.”

Rittmeister von Lübben war das Ideal eines frisch-fröhlichen Reiteroffiziers. Von hoher, schöner Gestalt, auf der der kühn geschnittene mit krausem Blondhaar bedeckte Kopf höchst proportionirt saß, war er mit den blitzenden Blauaugen, dem schönen goldblonden Schnurrbart und dem allzeit lustigen Lächeln um den feingeschnittenen Mund eine imponirende Erscheinung, ein Apoll in der Kleidung des Mars, dem Jung und Alt bewundernd nachsah. Seine Leute vergötterten ihn, die jungen Kameraden hatten an ihm den liebenswürdigsten Vorgesetzten der Welt!

Als Mensch wie als Soldat wäre der Rittmeister, zumal er auch noch in einer der angenehmsten Garnisonen stand, somit wunschlos glücklich gewesen, ohne die fatale Geldklemme, in der er sich leider Gottes permanent befand. Mit einem nur mäßigen Vermögen ausgestattet, hatte er als junger Leutnant eine Ehre darin gesucht, es den Großspurigsten unter seinen Kameraden gleich zu thun, er war aber auch stets einer der Ersten gewesen, wenn es galt, den Unbemittelten beizustehen, oder einen Unbesonnenen vor den Folgen seiner Thaten zu retten. So zerschmolz sein kleines Erbe, und als er Rittmeister geworden, sah er sich vis-à-vis de rien mit Ansprüchen ausgestettet, denen seine Gage nicht immer gerecht werden konnte. Zu sparen fiel ihm nicht ein, er hatte das Zeug nicht dazu, und wenn die fatale Klemme sich zeitweise gar zu sehr bemerklich machte, versuchte der brave Lübben, seinen Finanzen etwas aufzuhelfen. Er verfiel dabei auf eine schnurrige idee!

Kein Loosehändler lief ihm über den Weg, ohne daß er ihm ein bis mehrere Loose abgehandelt hätte, wie er sich denn auch eifrig an allen größeren Geld-Lotterien betheiligte. Er hatte die feste Ueberzeugung, auf diese Weise noch einmal sein Glück zu machen und ließ sich von dieser weder durch die Spottreden seiner Freunde, noch durch beständige Fehlschläge abbringen! Glückte es dann einmal und gewann er in der Vater­ländischen Frauen­vereins­lotterie einen Wäschekorb oder ein Dutzend Theeservietten, so genügte dieser Umstand, ihn in seinen Hoffnungen zu bestärken. Einmal mußte es kommen, das große Glück!

Fritz, des Rittmeisters Privatdiener und ehemaliger Bursche, der nach vollendeter Dienstzeit seinem Herrn treu verblieb, kannte dessen Eigenheiten genau. Oft genug hatte er sich über die vielen Loose und das schöne, herausgeworfene Geld ärgern müssen, und so machte der heutige Auftrag ihm auch nur wenig Freude.

„Du sollst sehen,” sagte er zu Dietrich, dem Offiziersburschen seines Herrn, der aus dem Stall kam, „gewinnen thut er wieder nichts. Die werden sich hüten, uns für 3 Mark das Stück einen Wagen oder gar ein Rennpferd herzuthun, so was behalten sie in Parchim, und auf das andere Kram, da pfeife ich! Hätte lieber für 36 Mark Schulden bezahlt, der Herr —”

Dietrich schmunzelte: „Die habt Ihr auch wieder?”

„I, warum nicht gar.” Fritz ärgerte sich über seine Offenheit und lenkte ab. „Wenn ich nur nicht wieder die Scherereien hätte, wenn er nun doch gewinnt?”

„Das kannst Du Dir bequem machen,” belehrte Dietrich ihn schlau. „Ist es an dem, dann schreibst Du gleich an das Komitee, sie sollen Dir das Dings fein eingepackt hierher schicken, die Kosten trägt unser Herr und dem ists egal.”

„Hast Recht, ist nicht so übel,” bestätigte Fritz. „Es ist ja auch nur, im Fall er den Sekt gewinnt. Den soll ich ins Manöver nachschicken. So'ne Schererei!”

„Wird schon nichts werden und wenn, dann läßt Du das den Spediteur in Parchim machen, das kostet auch die Welt nicht.”

Der Rittmeister befand sich schon seit längerer Zeit auf dem Manöverfeld. Die Lotterie hatte er vergessen! Da schrieb ihm eines Tages sein treuer Fritz, er habe gewonnen, ein Loos von denen in Parchim sei heraus.

„Freilich ist es kein Hauptgewinn,” schrieb er, „und was es ist, habe ich auch noch nicht erfahren können. In der Liste steht's unter Diverses. Ich habe aber Spediteur Müller von hier Auftrag gegeben, das Dings herzuschaffen, sein Schwager hat die Spedition in Parchim. Im Frachtbrief soll stehen: Ein Korb mit Inhalts.”

„Dacht ich mirs doch, der Schafskopf,” wetterte Lübben ärgerlich, ,„daß der Kerl immer noch Dummheiten macht! Hab' ihn doch so genau instruirt, daß er den Korb hierher schicken lassen aoll. Nun steht er zu Hause, wo wir hier noch 14 Tage herumkampiren! Ach, was, ich wende ein Telegramm daran, dann ist die Kiste in 3 Tagen hier und wir feiern einen fidelen Abend.”

Gedacht, gethan! Freund Fritz erhielt den Auftrag, den bewußten Korb umgehend ins Gelände zu dirigiren, damit er möglichst bald in die Hände des glücklichen Besitzers gelange! Am Mittag traf der Rittmeister auf die übrigen Herren seines Regiments.

„Wünscht mir Glück, Kinder,” sagte er vergnügt. „Ich habe eine Korb Sekt gewonnen in der Mecklenburger.”

„Du Glückspilz!” rief man ihm zu und einer der zum Manöver kommandirten Gäste, ein Oesterreicher, fügte fidel hinzu: „Den wenn mer hätten.”   „Das sage ich auch,” rief der allzeit freigebige Rittmeister. „Indessen, was nicht ist, kann werden. In 2 bis 3 Tagen haben wir die Kiste hier und dann kanns los gehen! Sie sind Alle eingeladen.”

„Einverstanden, Lübben soll leben!” jubelte die vergnügte Runde. „Rittmeister, Sie sind doch der liebenswürdigste Kamerad unter der Sonne. Und einen Dusel haben Sie, das ist schon nicht mehr schön!”

„Na, na, der läßt sich halten,” erwiderte Lübben gedehnt.

Unterdessen vergingen 8 Tage. Fritz hatte gemeldet, der Spediteur habe den Korb ohne Zeitverlust weiter gesandt, er hätte längst angelangt sein müssen! Zwar hatte das Regiment seinen Standort häufig gewechselt, es mochte für die Bahnverwaltung kein Kleines sein, die Adressaten herauszufinden. Aber schließlich kam doch Alles an! Lübben war schlechter Laune, ein Fall, der bei ihm äußerst selten zutraf. Die Hitze war aber auch gar zu schnöde, die KSameraden spotteten und er wartete noch immer auf seinen sekt.

&bdqo;Haben Sie uns aber aufsitzen lassen, Herr Rittmeister,” neckte ein etwas gelbsüchtiger Major. „An den Gewinn muß man ja glauben, aber das mit dem Nachsenden hat seinen Haken. Wie könnte es sonst zugehen, daß Ihr Korb gar nicht ankommt?”

Ehe Lübben antworten konnte, stand Dietrich in der Thür in dienstlicher Haltung. Der Rittmeister stand auf. „Was giebt's?” fragte er ärgerlich.

„Der Herr Rittmeister werden verzeihen,” meldete der Bursche, „aber da draußen ist ein Unteroffizier von den X-Ulanen. Er kommt aus L., wo wir gestern lagen. Dort ist ein Korb für Herr Rittmeister angekommen,, gleich nach dem Ausreiten!”

„I, da soll doch der Kuckuck,” schalt Lübben. „Gleich sitzest Du auf und sorgst,daß Du den Korb herschaffst. Verstanden?”

„Zu Befehl!” Dietrich wollte sich umwenden, als einige der jungen Herren seinen Rittmeister ansprachen.

„Lassen Sie Ihren Burschen man hier, Herr Rittmeister,” sagte der Jüngste von ihnen, ein neu gebackener Leutnant. „Wir schaffen Ihnen den Korb hierher. Das ist ein Mordsplaisir! Wir nehmen den Krümperwagen, und in 2 Stunden sind wir in L. Zum Abend können wir zurück sein und dann kanns los gehen.”

„Das ist eine Idee,” pflichtete der Rittmeister bei. „Freilich, 30 Grad im Schatten, aber vor 15 Jahren hätt' ich das auch gemacht! Also, wenn die Herren so liebenswürdig sein wollen, abkömmlich sind Sie!”

Mit langen Gesichtern kehrten die unternehmungslustigen Leutnants heim.

„Eine Wildentenjagd,” berichteten sie! „Wieder um einen Posttag zu spät! Genau vor zwei Stunden hatte man den Korb uns nachexpedirt, mit Gelegenheit natürlich. Und morgen sind wir über alle Berge. Ein Glück ist's nur, daß wir übermorgen zurückkehren, vielleicht finden wir ihn dann endlich vor!”

„Alle Hagel,” wtterte Lübben, „das ist ja, um die Schwerenoth zu kriegen! In meinem ganzen Leben hab' ich so was von pechöser Geschichte nicht gesehen. Ein wahres Glück, daß der verd.... Korb nun endlich wenigstens in Sicht ist. Der Droppen wird schmecken!”

Die jungen Herren hatten richtig gerechnet. Am zweiten Tage nach ihrer Hetzpartie wurde die Ankunft des Korbes gemeldet. Die Offiziere saßen gerade beim Abendbrot, ein brausendes Hurrah erscholl ob der fröhlichen Kunde. Auf das befehlende „Herein” seines Herrn blieb aber Dietrich verlegen an der Thür stehen.

„Nanu, auf was wartest Du noch?” fuhr dieser ihn an.

Mit betrübter Miene trat der Bursche näher: „Verzeihen der Herr Rittmeister, es kostet was,” damit hielt er den Frachtbrief vor.

„Und warum bezahlst Du nicht, kerl?” wunderte Lübben sich.

„Soviel hab' ich nicht bei mir und auch die anderen Burschen könnens nicht machen,” erwiderte Dietrich kläglich.

Der Rittmeister ergriff das Papier. „Kerl, bist Du toll, 22 Marl?” rief er bestürzt. „Na, wenn das nicht wenigstens Pommery & Greno ist, dann verklag ich die Lotterie-Kommission auf Schadenersatz. So was lebt ja nicht mehr.” Alle lachten, während Lübben brummend das Geld aufzählte. Erwartungsvoll harrte die Tafelrunde. „Ordonnanz, Sektgläser!” befahl der Gastgeber.

Da erschien der brave Dietrich, in der Hand einen runden, nicht aber umfangreichen Korb, den er so leicht trug, als sei es eine Mützenschachtel.

„Darin sollen 12 Flaschen Pommery sein?„ krähte der Major, der immer nörgelte. „Da sind kaum drei drin, ich wette.”

„Na, sachte, sechs sind's doch gewiß,” hoffte Lübben. „Aber ich weiß gar nicht, was der Korb für ein sonderbares Format aufweist. So was von Sektversand hab' ich mein Lebtag nicht gesehen!” Er nestelte erregt an den Schnüren.

„Was drin is, is drin,” philosophirte der Oesterreicher vergnügt.

Endlich löste sich der Deckel, Lübber griff in den Korb und zog unter nicht endenwollendem gelächter der ganzen Gesellschaft einen funkelnagelneuen — Toiletteneimer heraus.

Nachdem die tosende Heiterkeit sich etwas gelegt, rief Lübben, der gute Miene zum bösen Spiel machte, schnell gefaßt:

„Meine Herren! Der Wille war gut, aber das Fleisch schwach. Auf diese Ueberraschung war ich nicht vorbereitet. Ein Eimer und 22 Mark. Das geht an die Nieren. Damit wir Alle uns aber nicht umsonst gefreut haben, wollen wir den theuren Gegenstand hier gleich an Ort und Stelle würdig einweihen: Ordonnanz, 12 Flaschen Pommery und den Eimer tüchtig ausgeschwenkt!” rief er. „Ihr Wohl alsdann, meine Herren.”

Ein donnerndes Hoch lohnte den freigebigen Spender.

Dietrich aber, der unter der Thür zugehört hatte, schlich sich betrübt zur Seite. „22 Mark für einen einfältigen Eimer, der kostet bei uns 3 Mark. Und dazu noch die S....erei! Was wird Fritz sagen?”

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